18. Februar 2017

Schirilogie - Über die Wissenschaft und Lehre der Spielleitung

Liebe Blog-Leser, ich würde Euch / Sie gern auf eine neue Seite über Schiedsrichter aufmerksam machen. Auch wenn der Banner unten vermutlich schon einige Rückschlüsse zulässt und Assoziationen hervorruft, worum es bei der neuen Seite www.schirilogie.de in etwa gehen soll, sollen die 'schirilogischen' Ziele im Folgenden erläutert werden. 


Fußballschiedsrichter leisten einen ebenso unverzichtbaren wie anspruchsvollen – und manchmal auch undankbaren – Beitrag zum Spielbetrieb. Von ihnen wird erwartet, durch das Treffen angemessener Entscheidungen einen sportlich-fairen Wettkampf unter Einhaltung der Spielregeln sicherzustellen, emotional aufgeladene Spiele unter ihrer Kontrolle zu behalten und Spieler sowie Teamoffizielle als akzeptierte Autoritäts- und Führungsfigur zu leiten.

Bei ihrem Bestreben, diesen komplexen Rollenanforderungen bestmöglich gerecht zu werden, agieren Fußballschiedsrichter in der Regel unter höchster physischer und psychologischer Beanspruchung, die sowohl den redensartlichen kühlen Kopf als auch das sprichwörtliche dicke Fell erfordern – vor allem dann, wenn sie strittige Entscheidungen zu treffen haben.

Dass Schiedsrichter dabei (vermeintliche) Fehler machen, liegt in der Natur der Sache und hat vielfältige Ursachen. Dazu zählen u.a. die folgenden:

-        Zahlreiche Studien belegen allgemeine menschliche Urteilsverzerrungen eindrücklich. Das bedeutet: Menschen machen Fehler. 
-        Schiedsrichtern steht auf dem Platz nur eine begrenzte Menge an Informationen zur Verfügung.
-        Sie nehmen diese Informationen einmalig wahr und müssen diese binnen Sekundenbruchteilen einordnen, abwägen und entscheiden.
-        Die menschlichen Kapazitäten zur Informationsaufnahme sind ebenfalls begrenzt.
-        Dieser situationsbezogenen Informationsknappheit (z.B.: Spieler fällt nach einem minimalen Kontakt in der Nähe der Strafraumlinie) steht eine Fülle möglicher Interpretationen gegenüber (z.B.: Elfmeter vs Freistoß vs Schwalbe vs Weiterspielen).
-        Diese Informationsasymmetrie wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass dem Zuschauer auf der Tribüne bzw. vor dem heimischen Endgerät Zeitlupen aus allen erdenklichen Blickwinkeln sowie Experteneinschätzungen in Sekundenschnelle vorliegen, die ihn/sie zu einem mehr oder weniger qualifizierten Urteil befähigen – dies kann schnell zu einer Haltung à la „Wie blind kann man denn sein, das nicht zu sehen?!“ führen, die für die Akzeptanz und Wertschätzung gegenüber Schiedsrichtern alles andere als förderlich ist.

Zusammenfassend bedeutet dies: Der Job als Schiedsrichter ist komplex, stressig und fehleranfällig. Es ist also nicht damit getan, Entscheidungen zu analysieren und Fehler zu identifizieren - wenngleich dies bei dem Versuch, Schiedsrichterleistungen zu verbessern, selbstverständlich unverzichtbar bleibt.

Jeder Schiedsrichter weiß: Das Pfeifen ist eine Wissenschaft für sich. Eine zusätzliche, die etablierten Quellen schiedsrichterlicher Berichterstattung (wie z.B. dieser Blog, die Kolumne und Podcasts von Collinas Erben oder der 'Schiedsrichterball' von Johannes Gründel) bereichernde Perspektive soll die Seite Schirilogie liefern.

Konkret geht es um die praxisnahe Vermittlung von Wissenschaft und Lehre über die moderne Spielleitung im Sport, und speziell im Fußball. Die Betonung liegt hierbei auf 'praxisnah' - das Ganze soll weder aus dem Elfenbeinturm heraus geschehen, noch Selbstzweck sein!

Denn da die Figur des Schiedsrichters so faszinierend und umstritten ist, existieren zahlreiche Studien aus der Forschung, die sich mit ihr auseinandersetzen.

Aus meiner Erfahrung als Masterstudierender der Wirtschaftspsychologie weiß ich, dass wissenschaftliche Theorien sowie evidenzbasierte, praxisnahe Modelle und Techniken weitreichende Einblicke geben, wie bspw. Leistung, Motivation oder Zufriedenheit gesteigert werden können. Aus diesem Grund forsche ich selbst zur Persönlichkeitsstruktur von Fußballschiedsrichtern - zu der womöglich der ein oder andere Leser dieses Blogs im vergangenen Jahr freundlicherweise beigetragen hat - und kann zeigen, dass es sich bei Persönlichkeitsmerkmalen (wie z.B. Disziplin oder Sozialkompetenz) um überaus erfolgskritische Qualitätsmerkmale eines Schiedsrichters handelt.

Um solche und vergleichbare Fragestellungen wird es gehen.

-       Worin liegen die Ursachen von richtigen und falschen Entscheidungen im Profifußball? Wie können Fehler vermieden werden? Hilft dabei ein Blick in die Wissenschaft? Hierzu wird die Kolumne 'Nachspielzeit' nach jedem Bundesligaspieltag erscheinen.
-       Welche Studien existieren zu Schiedsrichtern? Wie können sie für die individuelle Entwicklung eines Unparteiischen nutzbar gemacht werden?
-        Inwieweit können bspw. die Psychologie oder Sportwissenschaften wertvolle Praxistipps für Schiedsrichter, Beobachter und Coaches auf allen Ebenen liefern? Wie können theoretische und empirische Modelle, Konzepte und Ideen sinnvoll auf den Bereich des Schiedsrichterwesens übertragen werden?
-        u.v.m.

Kurzum: Auf www.schirilogie.de sollen wissenschaftlich fundierte Inhalte für die praktische Anwendung aufbereitet werden. Schwerpunktmäßig wird dies in sog. Lehreinheiten erfolgen.

Schirilogie richtet sich vor allem an Schiedsrichter und Schiedsrichterfunktionäre, aber auch an alle Fußball- wie Sportbegeisterten, die eine ausreichend große Offenheit dafür mitbringen, sich vielleicht einmal aus einer anderen Perspektive mit Schiedsrichtern auseinanderzusetzen und verstehen möchten, wie mögliche Fehler erklärt werden können, welche Herausforderungen mit dem Job als Schiedsrichter verbunden sind und welche Trends sich in Theorie und Praxis im Bereich der Regeldurchsetzung bzw. Spielleitung abzeichnen.

Viel Freude beim Verfolgen!

Niclas Erdmann

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